„Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein.“

Johann Wolfgang von Goethe

 

„Freiberufler“ oder doch gefangen? Nicht weisungsgebundener, freier Mitarbeiter und doch hat man zu gehorchen! In der Schule muss man Folge leisten, im Studium diszipliniert sein und eifrig teils unnützes Wissen in sich hineinsaugen. Später im Berufsleben hat man keine Zeit mehr zu hinterfragen und muss weiterhin nach der Pfeife anderer tanzen bzw. sich anderen Pfeifen unterordnen. Die Bezahlung mag stimmen, schließlich kann man sich einiges leisten. Doch sind wir wirklich frei? Können wir es uns leisten ehrlich unsere Meinung zu äußern? Können wir frei darüber entscheiden, was für uns oder unseren Patienten das Beste ist? Gibt es wirklich so etwas wie Therapiefreiheit? Wohl kaum, denn ein jeder von uns hat sich einer bestimmten Hierarchie unterzuordnen. Sei es nun der Auftraggeber/Arbeitgeber, dem man Rechenschaft ablegen muss, oder das Konzept der jeweiligen Einrichtung, das man zu befolgen hat. Ständig wird der eigene Handlungsspielraum eingeschränkt. Checklisten, Leitlinien… wohin man nur sieht, die Arbeit muss nun mal effizient sein. Standardisierte Fragebögen bei einer Anamnese, Richtlinien im Verkauf…

„Freies Fragen wird verhindert werden, solange es Ziel der Erziehung ist, Überzeugung statt Denken hervorzubringen.“

Bertrand Russell

Sicherlich können Checklisten, Leitlinien & Co. gerade für Berufsanfänger sehr hilfreich sowie in manchen Bereichen, wie z.B. in der Raumfahrt oder im Operationssaal, unentbehrlich sein. Doch wie viele Experten ihres Bereichs werden sich an eine starre, standardisierte Checkliste halten? Selbst wenn sie gedanklich zwar systematisch, also ähnlich wie bei einer Checkliste vorgehen, führt immer noch der eigene Verstand die Checkliste und nicht umgekehrt. Die Realität zeigt hingegen ein gänzlich anderes Bild. Die meisten Therapeuten lassen sich statt von dem eigenen Verstand eher von Leitlinien führen bzw. von anderen leiten. Sie wissen womöglich nicht, dass Leitlinien auf Meinungen basieren und nicht immer unabhängig sind. Ist man mit dem Lesen bzw. Interpretieren von Studien nicht vertraut und kennt sich auch nicht mit Statistik aus, so ist man darüber hinaus noch sehr leicht manipulierbar. Am deutlichsten werden die Auswüchse kommerzieller Manipulationen in der Fitnessindustrie und in der Rehabilitation. Hier kann man Trainer und Therapeuten beobachten, die sich von der Industrie eigens durchgeführten Studien korrumpieren lassen. Sie machen alles nur Erdenkliche mit was ihnen aufgetischt wird und sind sich leider nicht bewusst, dass sie damit den Ruf eines ganzen Fachbereichs schädigen. Der wissenschaftliche Hintergrund eines Sportwissenschaftlers/Physiotherapeuten scheint in der Welt nicht angekommen zu sein. Das Traurige daran ist, dass dies sogar zu einem erheblichen Teil selbst verschuldet ist. So assoziiert man die Physiotherapie stets mit Pezzibällen, bunten Klebestreifen und einem Theraband oder verwechselt Physiotherapeuten sogar mit einer ganz anderen Berufsgruppe, den Masseuren. Vom Sportwissenschaftler weiß man, er lässt seine Athleten auf dem Boden rollen und benutzt neuerdings ebenfalls gerne ein Theraband, allerdings wickelt dieser die Extremitäten seiner Athleten damit ein, um irgendwelche Faszien damit zu lösen.

Bevor es also kein Erwachen gibt und wir nicht aufhören den ganzen Müll der Fitnessindustrie  zu schlucken, wird der Beruf des Trainers/Therapeuten niemals ernst genommen werden. Solange wir als Experten nicht selbst darüber entscheiden, was für unsere Athleten/Patienten das Beste ist und es der Industrie oder der Einrichtung überlassen, was zu tun ist, solange werden wir uns selbst entwürdigen. Dann brauchen wir uns allerdings nicht zu wundern, wenn wir in ein paar Jahren in Therabändern mumifiziert, samt unserer Athleten mit dem Hula Hoop Reifen um die Hüften, auf dem Fußballplatz Zumba tanzen.

Hierzu noch einmal Immanuel Kant:

„Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“